Mittwoch, 31. März 2010

Fährefahren ist schön

Im Frühling Fährefahren, im Sommer dann Rheinschwimmen.
Ich freu mich.

Ja, das funktioniert rein mit der Strömungskraft, da wird nur dieses Eisenteil (wie das wohl richtig heißt? Wer's weiß, wird belohnt) umgelegt und schon geht's ab. Kostet übrigens nur 1,60. Also für die ganze Familie und auch für Ö-Touris leistbar;-)

Dienstag, 30. März 2010

Leipziger Blütenlese


Thor Kunkel: Schaumschwester (Matthes & Seitz 2010)

An zwei Tagen weggelesen. Schon Fasziniert. Sprachlich auch angesprochen, sonst les ich so was ja gar nicht. Ein ziemlicher James-Bond-Plot: Agenten-Auftrag-weibliche Gehilfin-Welt retten. Aber das Böse ist interessant und setzt sich schließlich durch. Der Held sympathisch umperfekt, die Gehilfin super smart und das Böse: Sexbots, Fickpuppen, Schaumschwestern.

Der Kryptologe Robert Kolther soll das Notebook des Firmengründers hacken, um an die Kundendaten ran zu kommen, damit man die Puppen aus den Verkehr ziehen kann. Denn – so die offizielle Argumentation – die Geburtenzahl wäre rückläufig, niemand mehr hierzulande an Fortpflanzung interessiert. Gehilfin Lora hat das psychologische Gespür, um das Passwort zu knacken und sie liefert auch das theoretische Fundament, den Unterbau, der demonstriert, wieso die Puppen gesellschaftlich so ankommen.

Diese Beschreibungen sind es auch, die mir besonders gefallen. Die Actionelemente sind eh auch okay, in Summe passt das Ergebnis aber nicht ganz. Sprachlich hab ich das Schwarzlicht-Terrarium stärker in Erinnerung. Aber gelesen hab ich dieses schlichte, schmale, schwarz-weiße Büchlein schon gerne und die Grundidee find ich gut. Groß weiter empfehlen werde ich das Ding nicht, ein großer Wurf ist es ja auch nicht, für die letzten zwei Tage (das war nach Leipzig) aber hat es mir ganz gut reingepasst.

Bin gespannt auf Kuhls Kosmos. Der Sapperlothky wird es mir schon besorgen.

Freitag, 26. März 2010

Vergangenheitsverrollungen

Richard Obermayr: Das Fenster (Part 2: Seite 41-70)

„Ich wollte hinein und dazu gehören.“ (S. 41) Aber die Geschichte wirft den Helden raus aus seiner Vergangenheit. Aus seiner Vergangenheit verstoßen, das stelle man sich mal vor! Das ist ein Sachverhalt, der nach einer ungewöhnlichen sprachlichen Umsetzung schreit, verlangt. Das ist ein Sachverhalt, der sich nur mit einer zu findenden Sprache ausdrücken lässt. Als ob, als würde, als stünde... Ständig müssen Vergleiche herangezogen werden, um das so nicht Bekannte darzustellen:
„Immer noch wirkte diese Welt auf mich, als warte sie nur darauf, dass jemand die richtige Frage stellt und alle hier ruhenden Antworten zum Leben erweckt.“ (S. 44)

Große Fragen: Wohin verschwindet eine Rolle, nachdem sie der Schauspieler abgelegt hat? Wird die Zeit nur durch den Wunsch, sie in Bewegung zu sehen, in Gang gehalten?
Große Vorwürfe: Das Haus, ihr Haus, angefüllt mit verfehltem Leben.
Große Befürchtungen: Das Neue wird weniger, die Wiederholung dominanter und alles was man versäumt hat, wird einem irgendwann abgehen. „Ich fürchte, dass am Ende ich alleine zuständig bin für den Reichtum und die Vielfalt dieser Welt.“ (S. 70) Das ist natürlich eine ungeheure Last. Das Ich hat den falschen Weg eingeschlagen und ist jetzt gänzlich neben der Spur, erlebt immer wieder diesen einen Tag, so lange, bis er gelingt. Doch die Wirkung des Schusses verzögert sich „die Kugel traf in Raten“ (S. 55). Der Held führt sein Leben weiter „im Vertrauen auf das Verhängnis“ (S. 56), bis wieder ein Tag überläuft.

Donnerstag, 25. März 2010

Urmuff


Theodor Fontane schrieb am 4. August 1875 in sein Tagebuch:

„Ankunft in Basel. Abgestiegen im 'Storch'. Mäßig. Alles im Zustande eines gewissen Urmuffs. Übrigens gut geschlafen.“

Vorzüglich geschlafen. Trotz Baustellen am Münsterplatz. Die Abschaffung der Arten von Dietmar Dath als Schlummerbuch. Das geht dann stets direkt in bunte Träume über. Zwar ohne Störche aber tierisch und sehr wohl auch abgedreht.

Mittwoch, 24. März 2010

Der Tod und die Fotostory

Problem-Problem. Ich in Basel und das Das Alphabet der Zeit in Wien. Das heißt, den letzten Abschnitt (ab Seite 757) muss ich nachliefern. Es ist ohnehin Zeit für einen Zwischenbericht: Wie eine Träne im Ozean hab ich brav im Jänner bewältigt. Der Mann ohne Eigenschaften war (sehr optimistisch) für Februar vorgesehen, da häng ich natürlich noch immer mitten drinnen. Das März-Buch von Gerhard Roth hab ich zwar fertig gelesen aber eben grad nicht dabei. Ich bin also noch nicht hoffnungslos im Verzug aber habe wohl Erklärungsnotstand.

Also aufgepasst: DMoE soll mich einfach noch länger begleiten bzw. in den Schlaf wiegen, weil zum Rumtragen ist die Kante einfach zu sperrig. Um den Rückstand wieder aufzuholen, nehme ich mir ein dünneres dichteres Buch vor.
Raoul Schrott schreibt (so zumindest steht's in der Verlagswerbung geschrieben):

„Ein wunderschönes Buch: ich lese es häppchenweise, damit es nicht so schnell fertig wird, denn so etwas Poetisches finde ich nur selten.“
Das ist durchaus eine Ansage und Vorgabe. Die Rede ist von Das Fenster von Richard Obermayr. Ja, der mit dem stieren Blick auf dem Autorenfoto. Ja, der, der „Der gefälschte Himmel“ geschrieben hat. Ja, das ist zwölf Jahre her. In der Zwischenzeit gab es einige Stipendien und wohl viele ups and downs. Jetzt jedenfalls lüftet Obermayr seine Poesiekammer wieder mal. Das Fenster ist zu öffnen, zu lesen, zu haben und bei Jung und Jung erschienen. Ich gehe das recht entspannt an und notiere parallel zur Lektüre:
Part 1; bis Seite 40.

Frontispiz

Die Konterbande der Zeit, der Gegenparabdruck, der verglühte Stern und die gepresste Blume. Vergänglichkeit schlägt einem entgegen. Der Sommer in dem sie das Leben verloren schwebt von Anfang an in der Luft. „Aber wie soll man lügen“, heißt es auf Seite 8 „wenn man die Wahrheit nicht kennt?“

Wahrheitssuche also und Erinnerungen bahnen sich Weg. Die Vergangenheit schlingert in der Auslaufrille, auf-auf im Gänsemarsch in die Wirklichkeit. Das ist nicht einfach. Nicht nur der Sommer hängt in der Luft, der Freitag, der 14. August 1979, sondern auch ein Schuss. Und das Warten auf das Einsetzen der Wirkung des Schusses ist eine Tortur. Derweil unterzeichnen die Vögel den Sommerhimmel, fließt die Zeit, begehren Erinnerungen auf und bisweilen werden aus Augenblicken Superzeitlupen. Überhaupt die Augenblicke. Ständig ist von diversen Augenblicken die Rede. Doch ein Schuss knallt, es gefriert die Zeit, die Umgebung, der Schuss hallt, die Vergangenheit wird durchschlagen, die Ordnung der Dinge auf den Kopf gestellt. Geschichte und die ausgesperrten Jahre betreten ein Museum, Gemälde haben ihre Zeit, ihren Augenblick, in dem sie wahr werden. Und plötzlich hebt sich der Schutz der Zerstreutheit auf und machen sich Fragen breit: Was merkt sich das Leben alles? Was lebt nach dem Tod weiter?

Das Leben will angetreten werden. Doch beschäftigen gewichtige, aufrichtige, verschobene und gereifte Augenblicke, die die Zeit stolpern lassen, alles verunsichern. Entgangene Augenblicke, die alles verändern. „Was geschieht mit solchen Augenblicken, für die die Welt keine Verwendung hat?“ (S. 32) Für diese Augenblicke sucht Obermayr eine Sprache und die Geschichte soll beginnen im Moment in dem die Vergangenheit ihr Ende hat – so weit so gut. Gehen wir es an: „Ich weiß, ich sollte längst vergessen und vergangen sein.“ (S. 39) Er ist aber geblieben in jenem Sommer.

Dienstag, 16. März 2010

Erika und der Herzstillstand

Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit: Seite 683-755

Gerhard entdeckt das Theater und das Statieren für sich. Nun steht endgültig fest: Er will Schauspieler und Schriftsteller werden. Er lernt Erika kennen, sie teilt seine Theaterleidenschaft und weil man ja weiß, wie's geht, ist Erika bald schwanger, Gerhard aber noch keine 18 und noch in der Schule. Das muss natürlich geheim gehalten werden („Sogar die Großeltern wussten nichts davon.“ S. 704). Der Vater erklärt sich bereit, die Alimente zu bezahlen, der Sohn muss aber Medizin studieren und die Matura muss natürlich auch noch überstanden werden. Gerhard klappt wieder mal zusammen (Kehlkopfvarizen). Latein wird mit vereinten Kräften nachträglich geschafft und dann steht Gerhard endlich die Welt offen. Er taucht ein ins Literaturleben, lernt Wolfgang Bauer kennen: „Er war ein Philosoph und poetischer Trinker.“ (S. 729), beginnt selbst mit seinen „Aufzeichnungen eines überflüssigen Menschen“, bestaunt das Temperament eines Heimito von Doderer, die Verkleidungsvielfalt H. C. Artmanns und die Souveränität Gerhard Rühms.

Drogenerfahrungen und ein Herzstillstand folgen („Man stellte schließlich eine Synkope, eine Durchblutungsstörung des Gehirns fest“ S. 751).


Montag, 15. März 2010

Jenseits von Lügen

Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit: Seite 564-682

Der Held entdeckt das Laufen für sich, das Laufen als Möglichkeit, sich ganz seinen Gedanken hinzugeben (an das Sterben denkt er noch immer häufig: „Die größte Rolle aber spielte Arthur Rimbaud für mich.“ S. 652).
Die Firmung steht an und weil die stets mit einem Geschenk verbunden ist, meldet er sich an, sowohl Geschenk, als auch Ausflug sind dann aber alles andere als die Erfüllung. Die Erfüllung gab es nur auf der Leinwand, da wurde „Jenseits von Eden“ gegeben: „Selbstvergessen saß ich im Ringkino und sah mich, wie ich sein wollte.“ (S. 598) Auch das Radio, der Rock 'n Roll und die Mädchen nehmen eine zunehmend wichtigere Rolle im Leben Gerhards ein. Sein erstes Mal allerdings scheint er nicht wirklich genossen zu haben: „Ich tat so, als sei nichts vorgefallen, aber ich empfand Ekel und Hass auf mich selbst.“ (S. 656)
Als neue Leidenschaft entdeckt Gerhard das Basketballspielen, eine Affäre mit einer älteren Frau öffnet ihm die Augen in anderen Belangen; er ist davon überzeugt, dass die Lüge zum Erwachsenwerden gehört:

„Ich fand mehr Geschmack am Erfinden als am Lügen. Das Erfinden ist der Neuentwurf eines Ereignisses in Form einer spontanen, improvisierten Erzählung, während die Lüge nur eine falsche Weichenstellung ist, die den entgleisten Zug wieder zurück auf die richtigen Gleise bringt.“ (S. 662)
Seine Sammlung von Krankheiten und Verletzungen setzt er übrigens munter fort und holt sich beim Fußballspielen eine Nephritis (die ihm später wenigstens die Untauglichkeit einbringen sollte).

Was ist die Hölle? vielleicht „ das Nichtverstehenkönnen und das Nichtverstandenwerden“ (S. 615)

Vertraute Klassifizierung: „Die moderne Kunst war damals in den Augen der meisten Betrug und jemand, der sich ernsthaft damit beschäftigte, ein Spinner.“ (S. 668)


Mittwoch, 10. März 2010

Jugend mit Gullivers Reisen, Doktor Dolittle und Wichsen

Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit: Seite 409-563

Mit der neuen Umgebung kommt Gerhard nicht so schnell klar. Nachbarn, Mitschüler, Lehrer; alles eine Qual. Aber die Leute waren ja allerhand gewohnt:

„Die immer vorhandene Rohheit hatte sich durch den Krieg einen kürzeren Weg vom Gedanken bis zur Tat gebahnt, und das Wegschauen hatte zur Überlebensphilosophie gehört. (…) Offenbar hatten sie in ihrer eigenen Kindheit und Jugend nichts anderes erlebt, und der Nationalsozialismus war nur ein 'Betriebsunfall' in einer verklärten schönen k. u. k.-Geschichte gewesen.“ (S. 421)
Der geschundene Held flüchtet sich nicht nur in Bücher, sondern auch vermehrt ins Kino und um ins Kino zu kommen, wurde alles unternommen, war jedes Mittel (jeder Schwindel) recht. In der Schule nämlich geht Gerhard durch die Hölle und wäre da nicht der Sport, seine Schnelligkeit und Waghalsigkeit beim Fußballspiel, wäre er gänzlich geächtet.

In diese Zeit fällt auch sein erstes Statement gegen die Kirche. Er heitert die Fronleichnams-Prozession durch einen Wasserbombenabwurf aus dem Wohnungsfenster auf. Das sorgt zwar kurzzeitig für Unterhaltung, dennoch will er sich immer öfter umbringen und übt sich im Luftanhalten, bis er entdeckt, dass man sich auch anders befreien kann. Ja, die Masturbation bestimmt künftig sein Dasein und alles ist ertragbar.

Ja, Gerhard setzt sich gar gegen seine Mitschüler zur Wehr, schlägt ungestüm um sich und wird daraufhin nicht mehr gedemütigt. Wichsen kann das Selbstbewusstsein eines orientierungslosen Jugendlichen erheblich stärken.

Österreichisches Erziehungsphänomen: „Ich beging den gleichen Fehler, den meine Eltern gemacht hatten: am wichtigsten zu nehmen, was die anderen über etwas dachten.“ (S. 519)


Dienstag, 9. März 2010

Fasnachts Nachruf

Ich geh mit meiner Laterne...


hier eine '69er Laterne und ja, das dahinter ist das Münster. Rechts wieder das Münster und vermutlich die Visage eines Schweizer Politikers. Ja, das Wetter war schön, die Sonne stechend, womit eine Entschuldigung für das und den Kooohpfwehweh gefunden wäre. Und links eine der zahlreichen (37) Muammar Gaddafi Laternen. Womit bewiesen wäre, dass die Basler Fasnacht für die Ausrufung des Heiligen Krieges mitverantwortlich ist. Eine närrische Zeit!

Montag, 8. März 2010

Frau Prangl

Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit: Seite 340-408

In der dritten Klasse, tritt Frau Prangl in das Leben des Protagonisten:
„Ich hatte das Glück, durch sie die erste verwirrende Sinnlichkeit kennenzulernen, als sie mir beim Schreiben den Arm auf die Schulter legte und sich über mich beugte. Ich spürte ihre Brüste auf meinem Rücken, und ein wohliger Schauer durchfuhr mich.“ (S. 340)
Da macht sogar die Schule vorübergehend Spaß. Doch der Liebesblinde übertreibt und beschenkt seine Lehrerin mit Schmuck aus dem Familienbestand. Das sorgt für Aufruhr aber wenigstens Großmutter versteht's. Gerhard sammelt Erfahrungen und zieht erste Schlüsse – vor allem nachdem er Pauls Uhr zerlegte, um drauf zu kommen, was dahinter steckt:
„Ich schloss daraus, dass alles Großartige auf Täuschung (und Mechanik) beruhte.“ (S. 387)

Die Erfahrungen sind aber auch anderer Art. So wird der junge Held auch gerne von anderen verklopft, was die Mutter nur darin bestätigt, dass sie weg vom Weidweg zurück in die alte Wohnung in den Geidorfgürtel 16 müssen. Das geht schließlich auch durch, nur für Großmutter ist dort kein Platz. Das Kapitel der Kindheit wird mit dem Umzug abgeschlossen. Purzel, der Hampelmann (Pinocchio, eines seiner Lieblingsbücher und bis dahin auch gelegentlich sein Rufname) und die Hefte mit den Fantasiegeschichten die er mit Großmutter geschrieben hat, bleiben zurück. Die Jugend wird eingeläutet. Bim-Bam-Klingeling.

Traurige Erkenntnis: „Suche ich nach Momenten des Glücks in meiner Kindheit, so sind es die frühen Morgenstunden, wenn ich krank war und zu Hause bleiben durfte und Paul und Helmut in die Schule gingen.“ (S. 378)

Sonntag, 7. März 2010

Großmutter

Gerhard Roth: Das Alphabet der Zeit: Seite 199-339

Die Großmutter aus Siebenbürgen kommt und sollte zur wichtigsten Bezugsperson Gerhards werden, mit der Schwiegertochter freilich gibt’s Schwierigkeiten. Großmutter schrieb Gedichte und sah in Gerhard einen Künstler. „Du darfst nichts tragen! Das ist zu schwer für dich! (…) Du bist ein Künstler“ (S. 218) Großmutter hat Gesichtszuckungen und schnalzt mit den Lippen und um wenigstens einen Teil ihres Vermögens retten zu können, ließ sie sich goldene Zahnkronen anfertigen. Gerhard und die Großmutter erfinden Geschichten, Gerhard entdeckt überdies seine Vorliebe fürs Improvisieren in Fantasiesprachen.

Onkel Fritzl, der Bruder von Omi, der anderen Großmutter, lebte als Insasse der Anstalt für Geisteskranke am Feldhof bei Graz. Fritzl vertrug keinen Alkohol, trank aber viel und dann wurden Späße mit ihm gemacht. Am Feldhof freilich wurde er „ruhiggestellt“. Gerhard beschäftigt der Besuch seines Onkels sehr, er fühlt sich mit ihm verbunden und versteht nicht, wieso er eingeliefert wurde.

Gerhard indes setzt seine Krankenhausaufenthaltsserie fort. Immer wieder scheint er dem Tod nahe, springt ihm dann aber doch noch von der Schaufel.

Großmutter und der Großvater mütterlicherseits waren die beiden Erzähler seiner Kindheit, während der Vater nichts von sich preisgab. Vater wollte nur, dass sein Sohn dereinst einmal Arzt wird, dass er allerdings schon in sehr jungen Jahren das Doktorspielen entdeckt, heißt er weniger gut. Das Vaterverhältnis gestaltet sich ohnehin zunehmend schwieriger:

„Je mehr ich versucht hatte, Vater zu gefallen, desto selbstverständlicher hatte er mich übersehen. Sobald ich hingegen bereit war zu leiden, war er verzweifelt und wehrlos, das hatte ich an seinem Gesicht gesehen.“ (S. 290)

Die Erstkommunion steht an, Gerhard weiß nicht, was er mit diesem Gott anfangen bzw. was das Sünden-Gerede soll:

„Der Zweifel, der langsam zur Gewissheit wurde, dass vielleicht nur ich etwas nicht verstand, was für alle anderen selbstverständlich schien, lähmte mich stärker als jeder andere Umstand. Vielleicht, so quälte ich mich, begriffen alle außer mir den Glauben, und bevor die anderen es bemerkten, war es besser zu schweigen.“ (S. 296f.)

Mut zur Meinungsäußerung: „Wenn in den Märchen Tiere sprechen, so ist das nur eine Vorwegnahme eines zukünftigen, besseren Verstehens von Tieren. Dass Tiere denken und sich ausdrücken können, sich erinnern und träumen, wenn auch nicht in menschlicher Weise, halte ich für erwiesen.“ (S. 271)
Mir brauch'n 's nix erzähln, i kenn des eh: „Mir war in meinem Leben nur in der Schule langweilig und das beinahe immer. (…) Die Verstellungskunst war die erste und einzige Kunst, die ich in der Schule wirklich gelernt habe.“ (S. 311 und 312)
Wisse: ein Blutzer ist nicht bloß ein Kürbis oder ein Mensch mit mords Schädel, ein Blutzer ist vor allem ei 25-Liter-Gefäß für Most, Wein oder Öl.

Dienstag, 2. März 2010

Die Blumen des Blutes


Christian Futscher, Die Blumen des Blutes (Czernin 2009)

Endlich ein Gedichtband den man guten Gewissens allen Liebenden (und nicht nur diesen) ans Herz legen kann, möchte, sollte. Auf dass diese das neue Futscher Buch kaufen, in ihre Hand- und Umhängetaschen stecken, und ihren jeweiligen LebensabschnittspartnerInnen dann im Park, im Schatten auf dem Bauch liegend, vorlesen (früher Fried, heute Futscher;-).

Freude, Zufriedenheit und Lust wird geerntet werden, gelegentlich auch Entsetzen, Entrüstung und Kopfschütteln. Also Garantie für wohlige, prickelnde und aufwühlende Gefühle. Denn diese Gedichte sind so rot, so schön und so wechselhaft wie die Liebe (wenngleich auch etwas blutiger).
Diese Gedichte sind selbstironisch, witzig und hinterfotzig, sind nicht hermetisch, abgehoben und langweilig, sondern kurz, bündig, abgehackt (und ehrlich bis auf Blut).
Der Gedichtband „Die Blumen des Blutes“ ist ein wohlfeil zusammen gestellter Strauß an herrlichen Stilblüten grotesker Dichtkunst.

Mal bleibt einem das Lachen im Halse stecken, mal schießt das Blut aus vollen Rohren und mal quillt Einsamkeit zwischen den Zeilen hervor. In Summe aber kein herzloser Blutrausch, sondern ein raffiniert inszeniertes Fest des Blutes und der Sinne (es liest sich, hört sich, greift sich gut und duftet süßlich).
Zum immer wieder und laut Lesen. Zum Gernhaben und Weiterempfehlen!