Samstag, 23. April 2011

Metaebene rules


Es wird dem Genre Provinz-Krimi in jüngster Zeit ja derart penetrant Ehre und Aufmerksamkeit erwiesen, dass es einen – ich will nicht schreiben wirklich Lesenden – aber dass es einen, der nicht nur liest, um auf vertraute Örtlichkeiten, ausgelutschte Schmähs, grantelnde aber gemütliche Kommissarinnen und Kommissare zu stoßen, dass es einen, der lieber liest, um Neues zu entdecken, Neues in sich und im vorliegenden Text, einen, der sich von der Sprache gerne an der Hand nehmen, sich entführen und nicht nur von Regionalismen einlullen lässt, dass es so einen schier schütteln muss, es wird also, um den Satzanfang noch einmal aufzunehmen, auf dass es auch den ungeübten und aus welchen Gründen auch immer unkonzentrierten Lesenden (vielleicht läuft ja grad ein Song im Hintergrund, dessen Textzeilen sich sanft in den Vordergrund drängen und sogar zitierwürdig wären, vielleicht aber geht den Lesenden auch einfach etwas anderes im Kopf um und weil das Gelesene dann doch durch den Kopf muss, um verdaut werden zu können, können wir Unkonzentriertsein mitunter schon verstehen, wenngleich wir es nicht immer tadellos im Raum stehen lassen wollen), es wird der unsäglichen und kaum lesbaren En-vogue-Krimi-Kategorie mit dem Label „Provinz“ (und das ist hierzulande viel) nun wirklich schon viel zu lange derart die Verkaufsstange gehalten, dass es höchst an der Zeit ist, diese trendige, heilige Cash-Kuh des Literaturbetriebs gnadenlos zu schlachten, ja dem Krimi allgemein ordentlich eins über zu braten, das Inhaltsgerüst zu brechen und die Protagonisten auf die Aktenzeichen X Y zu reduzieren und Jubel, Freude, Trallala: Peter Clar macht das.
Peter Clar macht das in seinem radikal konsequenten Anti-Krimi „Alles was der Fall ist“ nicht nur beschlagen, gewitzt und gewürzt mit Zitaten aus den oberen und unteren Schubladen des zweiflügeligen Kastens Populärkultur und Literaturgeschichte. Kanonisierte Klassiker haben da naturgemäß gleichermaßen Platz wie katholisch Biblisches und dass gelegentlich eine Aussage mit Indiepopigem (und auch Hiphoppigem) à la Sterne, Schamoni, Licht, Tocotronic, Regener und Dendemann garniert wird, wird in diesem Kasten natürlich ebenso toleriert, wie genereller Gestaltungsraum im Text.
Zum Anlassfall an sich: Villach, Kirchturm, Sturz und tot. Was bleibt ist ein Kreideumriss von Y am Pflaster. X geht der Sturzsache nach, zumal Y sein ehemaliger Schulkollege und Freund war/ist/was weiß man? Der Erzähler versichert auch glaubhaft, nichts zu wissen („Fragen Sie bloß nicht mich“), sich nur am Vorgeschriebenen hoch zu handeln, nur den Fall zu verfolgen und sich von der Sprache jagen zu lassen. Das ergibt ein mords Halali, vor allem, wenn der Verbgebrauch dem Gewöhnlichen leicht enthoben wird, was dann zum Beispiel so klingt:
„Weiß X also, wo F wohnt. Weiß X auch, welcher Name auf der Türe steht, ist es ein Männername, Malina wäre doch schön, zum Beispiel. Spiele ich nicht lange um den heißen Brei herum, umgruppiere ich meine Formulierung, lange anspiele ich nicht mehr und rede auch nicht um den heißen Brei. Sage ich gar nichts außer dieses: Ist der Name ein männlicher, aber das ist wohl nicht der ihre.“ (S. 52)
Ja, umguppiert er, beischläft er, durchkommt er und dingfestnagelt er auch, das hat was Antiquiertes und was Verspieltes. Denn gespielt wird in diesem Text nicht nur mit der Sprache, sondern vor allem mit den Lesenden und der Krimifolie. Schön, dass der Erzähler meistens weiß, wann genug gespielt und wieder gehandelt oder zumindest abgelenkt beziehungsweise angeregt gehört. Den Lesenden bietet dieser Text jede Menge Lücken zum Füllen, die Freiheiten, die der Erzähler den Lesenden zugesteht, eröffnen Denk- und Erinnerungsräume in denen man sich gerne verliert, um dann wieder zu X, Y, Villach und der Kirchturmfallsache zurück zu kehren.
Möge dieser Krimi-Bastard möglichst viele Lesende (und hoffentlich durch die Aufmachung auch Provinz-Krimi-Fans) erreichen, mögen auch die insgesamt Verwirrten darin tröstliche Worte finden („Sinn ergibt sich nie“) und möge man mehr derart lustvoll die Genregrenzzäune Niederreißendes, mehr derart eindrucksvoll Buchmarkttradiertes Dekonstruierendes auf den Verkaufstischen der Buchhändlerinnen und Buchhändler finden. „Alles was der Fall ist“ ist beste Unterhaltung auf der Metaebene ohne sich auf dieser zu verzetteln.

Samstag, 16. April 2011

Pathos-Sprech meets Dirty-Talk


Christian Uezt legt mit „Nur Du, und nur Ich“ zwar sein Romandebüt (Secession 2011) vor, ein Szeneneuling ist der philosophiedurchdrungene Schweizer Performancepoet allerdings beileibe nicht, im Gegenteil, seine Auftritte sind geradezu legendär. Uetz ist ein Vorreiter der „Spoken Poetry“ im deutschsprachigen Raum, hat Gedichtbände u. a. bei Suhrkamp und Droschl veröffentlicht und erzählt nun eine Liebesgeschichte. Ja, eine Liebesgeschichte. Sie hält die Nähe nicht aus und macht es ihm schwierig. Er wäre bedingungslos bereit sich hin zu geben, er ist auch bereit, danach zu schürfen, wieso sie ihm die körperliche Vereinigung verweigert und ergibt sich gerne in geradezu manischen Selbstreflexionen. Sie flieht vor der Nähe, er fleht danach. Für ihn ist die Liebe in allen Ausprägungen das absolut Höchste und deshalb ergibt er sich auch in religiösen Anrufungen von mitunter geradezu grotesker Art. Aber es ist ihm ernst. Er ist sexbesessen, sie macht sich nichts aus dem Geficke.
„Dass die Liebe pathologisch ist, ist ihr größtes Geschenk.“ (S. 86)
Es ist dieser wonnevolle Clash von Bibelduktus und dem unverblümten Beziehungstalk zweiter überreifer, superaufgeklärter Städter. Es ist dieser Mix aus erhöht-antiquierter und schlicht alltagssprachlicher Ausdrucksweise, durch den das Ganze eine einzigartige, gegenwärtige Ur-Wucht erhält: „Erhöh mich hinüber.“

In „Nur Du, und nur Ich“ geht es um die Höhen und Tiefen der Liebe und des Leidens, um Sehnsucht, Wolllust, Verzweiflung und die sprachliche Umsetzung dieser Urgefühle. Christian Uetz findet dafür eine Sprache, die keine Gratwanderung, sondern ein Besteigen des Liebesgipfels von allen Seiten und mit allen Mitteln ist. Da wird aus allen Registern gezogen, ist nichts per se zu hoch oder zu tief. Die beschreibenden Szenen der schwierigen Beziehung wechseln sich mit dem Innenleben des Erzählers bzw. mit den Sprachversuchungen und -verwirrungen die der Liebesrausch im Erzähler auslöst. Dass diese Obsessionen nicht alle immer treffen können, ist dabei nur natürlich, Leidenschaften sind eine höchst individuelle Sache. Wie es Uetz allerdings gelingt, die Besessenheit seines Helden darzustellen, ist bemerkenswert und in dieser Realisierung wohl einzigartig.

„Nur Du, und nur Ich“ ist ein Text der einen, wenn man gewillt ist, sich darauf ein zu lassen, hin und her beuteln und ergreifen wird. Ein Text der einerseits das Höchste will aber andererseits auch vom Banalen genährt ist, sich nichts Menschlichem verschließt und durch diese Hoch-und-Tiefschaufahrt mitunter auch eine ganz eigene Komik entwickelt „Und Liebe ist genau das lachende Leiden.“In Summe ein Text über die Liebe, der verinnerlicht, gespürt und gehört gehört. Und wenn man ihn erst gehört hat, dann bleiben ohnehin keine Fragen mehr offen.