Montag, 10. September 2012

Sprachfreiraum

Hier brennt Hanno auf einem Traktor, der bei der 14. Aicher Trophy dabei war. Ich war derweil auf der Hans Wödl Hütte und beschäftigte mich mit einem Kaspressknödel. Im Zuge des Verdauprozesses stieß mir Folgendes auf:
Es waren jetzt ja zehn Tage lang die Paralympics im Gang und vom Gang kommt man gleich in den Ganges oder aber zum Gehen. Dazu braucht es mindestens circa ein Bein. Schneller sind aber heutzutage die, die nur circa zwei halbe Beine haben. Denn daraus kann man mit wundervoll eleganten Bein- und Fußprothesen, rein von der Länge her, so in etwa zweieinhalb Beine machen und inst anderen dann um Nasenlängen voraus. Das schmerzt die Ein- und Wenigerbeinigen sicher. Dafür habe ich Verständnis. Ein einbeinbeeinträchtigtes Dasein zu führen, stelle ich mir schwierig vor. Wenngleich ich das Wort "Einbeinbeeinträchtigung" doch als großen Wortschatz empfinde. Vollends fürchterlich einerseits und wortwertvoll andererseits, wird es dann, wenn sich zum fehlenden Bein schmerzbedingte Pein gesellt, was dann im kaum mehr zu übertreffenden Wort "Einbeinpeinbeeinträchtigung" zum Ausdruck kommt. Alle Einbeinpeibeeinträchtigten auf Erden verdienen entsprechende Entschädigungen und die Sprache verdient mehr Freiraum. Mein Einbeinpeinbeeinträchtigungs-Abriss kann diesbezüglich durchaus als Vorschuss betrachtet werden.

Pilgerpöbel

Michael Stauffer hat unter anderem die Romane: „Haus gebaut, Kind gezeugt, Baum gepflanzt. So lebt ein Arschloch. Du bist ein Arschloch“ und „Normal. Vereinigung für Normales Glück“ geschrieben.
In letzterem gründet der Held eine Religion und deckt so die Mechanismen von derartigen Vereinigungen auf. Im neuen Roman „Pilgerreise“ lässt Stauffer seinen Helden Bela zur Läuterung zu Fuß gehen, bis die Füße schmerzen.
Bella ist ein skrupelloser Schriftsteller und Unterrichtender am Literaturinstitut, dessen Leidenschaft es ist, Grenzen aus zu loten. Das macht er in jeder Beziehung (Eltern, Schüler_innen, Partner_innen gegenüber). Zu recht wird er verlassen und gerät darob vollkommen außer Kontrolle und wäre da nicht sein Cousin: „Ich kann dich beruhigen, in meinem Weltbild gibt es durchaus Platz für Hilfe, die nichts kostet und von einem Teppich [mit dem Bela gerne spricht] kommt.“, Bela wäre wohl verloren.
Aber er findet für sich einen Ausweg: den Pilgerpfad. Bela lässt goldene Pilgervisitenkarten anfertigen, macht sich auf den Weg, schreibt fleißig Postkarten, lernt viele Menschen kennen, verschreckt einige davon und hat einen großen Plan.
Dass das Ganze eine bitter-böse Satire ist, braucht eigentlich kaum erwähnt zu werden. Wie trocken und unvorhersehbar Stauffer seinen Helden anlegt, ist allerdings äußerst bemerkenswert. Diese Pilgerreise gerät zu einem mitunter absurden, oft drastischen und immer höchst unterhaltsamen Trip. Fünf Wanderstöcke hoch!