Montag, 1. Januar 2018

Jahresrückblick: Roman Empfehlungen


Dem Silvestermuffel ist im neuen Jahr mehr Zeit gegeben. Das gilt zumindest für den ersten Tag im neuen Jahr, der dafür genützt werden soll. Höhepunkte des vergangenen Jahres noch einmal kurz Revue passieren zu lassen.

Für eine Weihnachtsgeschenke-Empfehlungsliste ist es zu spät. Aber wenn noch wer was Umtauschen oder einfach Neukaufen will. Hier meine Lieblings-Romane 2017. „Das Floß der Medusa“ von Franzobel. Franzobel nimmt einen spannenden, historischen aber hochaktuellen Stoff in die Hand und bearbeitet ihn auf seine Weise. Da kann er all seine Qualitäten ausspielen. Da geht sein Sprachreichtum auf. Da darf barock gewuchert werden. Da hat sich einer freigeschrieben und eine eigenwillige Erzählform und Metaphernsprache gefunden, um diesen Stoff zugänglich zu machen.

Die Überraschung des Jahres war für mich der polnische Autor Ziemowit Szczerek. Das Buch hat mich vom Titel und von der Covergestaltung her angesprochen. Ich mag die Sonar-Serie bei Voland & Quist. Aber dass „Mordor kommt und frisst uns auf“ mich dermaßen überzeugen würde, dachte ich nicht. Bitter böse. Politisch. Dreckig. Alte Beat-Poeten-Schule und doch neu. Ein Roadmovie-Roman in den wilden Osten. Eine Ukraine-Erkundung eines Polen, der diesen dort demonstrativ raushängen lässt. Geografie, Geschichte, Getränke. Ein süffiges Stück Literatur eines Autors, dessen Namen man sich schwer merken kann, den man sich aber merken sollte.

Wer mehr über Russland und seine verworrene Geschichte erfahren möchte, der darf gerne zu „Die Welt des Herrn Bickford“ von Andrej Kurkow greifen. Da macht sich wer mit einem Tornister auf den Weg quer durch das Land und zieht eine Zündschnur hinter sich her. Skurril, witzig, toternst und erhellend.

Ein Sprung zur Supermacht auf der anderen Seite des Pazifiks sei an dieser Stelle gemacht und John Wrays „Lowboy“ nahegelegt. „Der Retter der Welt“ heißt dieser Roman in der deutschen Übersetzung. Wray ist ja halb Amerikaner und halb Kärntner und dass er auch auf deutsch schreiben kann, hat er beim diesjährigen Bachmannpreis-Lesen bewiesen. Lowboy ist bereits 2009 erschienen, bildete seit 2010 einen Fundamentbaustein meines Noch-zu-lesen-Büchertrums und hatt mich gleich in seinen Bann gezogen. Es geht in den Untergrund, in die New Yorker U-Bahn und tief in die Psyche des Helden Will Heller.

Ganz und gar nicht schlecht auch:
Der Fisch in der Streichholzschachtel“ von Martin Amanshauser. Kreuzfahrt. Piraten. Zeitlöcher. Beziehungsgeplänkel und viel Meer.
Ein weißes Feld“ von Lucas Cejpek. Ein Mann sieht weiß und macht das zum Konzept, das aufgeht, einleuchtet und fasziniert.
Kraft“ von Jonas Lüscher. Nach „Frühling der Barbaren“ mit Engländern und einem Schweizer in Tunesien und der totalen Kapitalismus-Katastrophe geht es jetzt ins Silicon Valley, zu einem Wettbewerb „Weshalb alles, was ist, gut ist und wie wir es dennoch verbessern können“. Rhetorikprofessor Kraft setzt alles auf eine Karte und wir schauen ihm schaudern und belustigt dabei zu.
Eine Klassiker-Lücke habe ich dieses Jahr auch endlich gefüllt und zwar mit großer Begeisterung:
Die größere Hoffnung“ von Ilse Aichinger ist bereits 1948 erschienen und scheint mir eines der stärksten Bücher über den Krieg und seine Folgen. Ihrer Zeit weit voraus findet Aichinger eine poetische Sprache und dekonstruiert Formen und Muster lange bevor dies zum State of the art wurde. Grandios!

Lyrikbände, Literaturzeitschriften, Essays und Bücher mit Bildern oder so hab ich natürlich auch brav gelesen. Vielleicht demnächst (oder im nächsten Jahr) mehr darüber.